Kapitel 4

Steff und Ross im Silicon Valley

Einhorn Steff u Ross

Lange galt das Silicon Valley als Mekka der Innovations-Inspiration. Dass es dort weniger Startups als rauschende Partys auf Firmenkosten gibt, erfahren die Protagonisten Steff und Ross hautnah. Attention: Merkt euch die Figuren "Hürlimann" und "Bastian" - die kommen wieder.


Der Firma Swisscoin liefen bereits zehn Head of Innovation davon. Einer nach dem anderen. Insider berichten, dass es unterschiedliche Auffassungen in der Ausgestaltung der Innovation gab. Bei jeder Runde definierte die Geschäftsleitung den Auftrag an die Innovation neu, doch unterm Strich sollte es immer um das Explorieren radikal neuer Geschäftsfelder und Technologien gehen. Die jeweiligen Innovationsleitenden lieferten der GL die bestellten Erkenntnisse. Doch es lief jedes Mal gleich ab: Nach zwanzig Runden Ergebnis-Verwässerung konnten sich die neuartigen Vorschläge nicht durchsetzen. Zu riskant, zu unkontrollierbar, zu fern vom Kerngeschäft. Man wollte sich nicht die Finger verbrennen. Die einzigen sogenannten Innovationen, die umgesetzt wurden, waren zum einen ein bunter Workshopraum im Keller gleich neben dem Materiallager und zum anderen das redesign der Toilettensymbole, was das innovative Mindset der Belegschaft fördern sollte.

So konnte es nicht weitergehen.

So konnte es nicht weitergehen. Etwas musste sich bei Swisscoin fundamental ändern; natürlich nicht bei der Geschäftsleitung, sondern bei der Innovation. Aber erst musste ein neuer Head of Innovation her. Davon gab es auf dem Markt wie Sand am Meer. «Lasst uns für einmal auf ein internes Pferdchen setzen», so der Vorschlag von Herrn Hürlimann, dem einzigen Geschäftsleitungsmitglied, das noch die Fähigkeit der Verhältnismässigkeit besass. Das fanden seine Kollegen eine super Idee. Man könnte zum Beispiel das Duo Steff und Ross nehmen. Die zwei hätten einen aussergewöhnlich Kleider-Style. Wetten, die sind extrem innovativ. Und ein Job-Sharing wäre auch eine moderne Botschaft an den Konzern. Let’s do that! Herr Hürlimann wollte die Sache eigentlich fundierter angehen, doch gegen seine motivierten Kollegen sah er kaum eine Chance, damit durchzukommen. Nun denn. «Lang lebe Steff…la Cheffe und Ross the Boss», seufzte Hürlimann seinen spontan eingefallenen Reim mit dem letzten Schalk, der ihm noch blieb. Er hoffte, sie würden tatsächlich länger überleben als ihre Vorgänger.

Alle waren irgendwas Disruptives am Werkeln... wer in der Szene etwas auf sich hält, muss im Silicon Valley, dem Mekka für Startups und Innovation, gewesen sein.

So kamen Steff und Ross zu ihrem Karrieresprung. Worin ihr Job als Head of Innovation genau bestehen sollte, davon hatten sie keine Ahnung. Google könnte vielleicht eine Erklärung liefern, doch die Job-Profile ihrer Pendants auf dem Markt waren so unverständlich wie die Innovationen, an denen sie tüftelten. Die einen nannten sich «Catalyst», die anderen «Evangelist»; und alle waren irgendwas Disruptives am Werkeln. Das gab den beiden wenig Aufschluss. Zum Glück fiel ihnen ein Innovations-Buch von Bastian, dem Bestsellerautor, in die Hände. Der konnte ihnen sicher weiterhelfen.

Leider Fehlanzeige. Die einstündige Beratung bei Bastian kostete sie zwar zwei Tausender, doch aufschlussreich war sein Redefluss nicht. Steff und Ross bekamen das Gefühl nicht los, dass der Kerl nicht wirklich eine Ahnung hatte, wovon er schwafelte. Aber immerhin nahmen sie aus der Fülle von Bastians Worten drei Dinge mit: Erstens, sorge für Anerkennung deiner Innovationskompetenz, indem du so viele Buzzwords wie möglich von dir gibst. Zweitens, das Post-it scheint ein verbreitetes Werkzeug zu sein. Drittens, wer in der Szene etwas auf sich hält, muss auf jeden Fall im Silicon Valley, dem Mekka für Startups und Innovation, gewesen sein. Worin das Innovationshandwerk tatsächlich bestand, eröffnete sich den beiden zwar noch nicht, doch Silicon Valley klang phänomenal. «Lass uns eine Reise für die Geschäftsleitung organisieren, damit sie vom Startup Creative Innovation Mindset richtig geboostet werden», so ihr Fazit. «Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.»

Nach drei Monaten GL-Antrag formulieren, war es für die beiden endlich soweit. Ihr erster Auftritt in der Geschäftsleitung. Doch die Zeichen standen nicht sonderlich gut. Gerade vor ihrem Silicon Valley Traktandum, wurde der Antrag Hürlimann bearbeitet. Man solle nach fünf Jahren Diskussion endlich für eine minimale Cyber Security sorgen. Budget: 50'000. «Naja, das ist schon etwas viel», so seine Kollegen. «Man muss das zuerst fundiert prüfen», und so weiter. Zusammenfassend: Die GL hat den Inhalt und die Brisanz des Antrags nicht verstanden und daher abgelehnt. Eine harte Ausgangslage für la Cheffe und the Boss.

Der erste googelte bereits nach Hotels, Limousinen und Privatjachten in San Francisco.

Doch beim Valley Traktandum schien die GL wie neu geboren. Sie war über alle Massen begeistert. «Woah, eine Tour ins Silicon Valley. Hammer, das ist wie in den guten alten Zeiten, bevor die Investmentblase platzte. Partys, Stripperinnen, Koks… Entschuldigt, können wir das aus dem Protokoll streichen? Danke.» Der erste googelte bereits nach Hotels, Limousinen und Privatjachten in San Francisco. Auf jeden Fall erachtete die Geschäftsleitung die Idee als systematisch durchdacht und mutig, genial und greifbar, etwas fundamental Neues. «Bitte in diesem Wortlaut ins Protokoll aufnehmen.» Nur Hürlimann brachte den Einwand, dass man nach bald zehn Jahren Innovationsdiskussionen vielleicht mit etwas Handfesterem als einem überteuerten GL-Trip starten könnte. Doch wieder keine Chance. Die Managertruppe war on fire.

Doch kippte die Stimmung unverhofft. «Oh, da habe ich eine Sitzung. Ganz unpassend.» Und natürlich hatten auch alle anderen Sitzungen, denn das ist es, was ein richtiger C-Level den ganzen Tag macht. Man sei in all den Meetings unverzichtbar. Wohl oder übel müsse man diese innovative Reise sein lassen. Sehr schade in Anbetracht einer unvergleichbaren Opportunity auf einen Innovation-Quick-Win. Mehr aus Resignation als im Ernst rutschte es Hürlimann raus: «Sollen doch die zwei Youngsters gehen und für uns scouten, was der crazy shit ist, auf den wir uns vorbereiten müssen. Zum Beispiel Lösungen fürs Thema Cyber Security, haha. Als Statusbericht können sie uns… bunte Postkarten schicken.» «Eine super Idee, lieber Hürlimann. Vor allem die Postkarte, richtig kreativ. Die protokollierende Assistentin soll dies in der internen Kommunikation unbedingt integrieren. Das ist ein wichtiges Zeichen an die Belegschaft: Wir sind immer bereit, neue Wege zu beschreiten.»

Das Land der innovativen Unmöglichkeiten: Das Silicon Valley.

Wenige Stunden nachdem der Antrag umformuliert und genehmigt war, sassen Steff la Cheffe und Ross the Boss im Vehikel mit viel Kerosinverschleiss Richtung Land der innovativen Unmöglichkeiten: Das Silicon Valley. Kaum gelandet verabschiedete sich Ross von Steff. Er gehe auf Geschäftsspesen ausufernd Party machen. Sie solle sich bei ihm melden, falls sie ein Startup oder sogar ein Einhorn finde, woran er nicht glaube. Ansonsten sehe man sich auf dem Rückflug.

Wo bitte schön, sollte sie beginnen? Die Startups und Zukunftstrends liefen nicht gerade mit einem Schild «Ich bin ein Startup, Applaus bitte» auf der Strasse herum. Steff musste sich in Anbetracht ihrer Herkules-Aufgabe erst einmal sammeln. Sie brauchte etwas Komfortzone. Zum Glück fand sie auf der anderen Strassenseite einen altbekannten Freund, den Starbucks. Sie trat ein, schaute sich um und sofort spürte sie: Dieser Starbucks war zwar identisch mit jenem Zuhause, doch es lag etwas in der Luft. Es war dieses innovative Mindset, dieses «Entrepreneurship» wie es Bastian nannte, das man beinahe mit Händen greifen konnte. «Die Typen an den Tischen hinter ihren Laptops sind sicher alle Startups», dachte sie. «Mit Sicherheit stehe ich hier mitten im Biotop des next big thing! Befindet sich unter den tippenden und Kaffee trinkenden Wesen vielleicht sogar ein zukünftiges Einhorn?» Steff war elektrisiert. Die Zuversicht nahm sie wieder bei der Hand. «Genau hier beginnt mein Scouting nach den Trends, die diesseits des Atlantiks bereits Realität sind und uns Europäer wenige Monate später überrollen werden. Los geht’s.»

Gönnen wir Steff den Moment der Glückseligkeit. Denn nur einen Tag später fand sie heraus, dass der Starbucks alles andere als Startups beheimatete, sondern der Hafen der gestrandeten Innovationsmanager war, allesamt auf der Suche nach dem nächsten disruptiven Trend. Wie dies auch bei Backpacker-Trips der Fall ist, kamen sie nie mit der lokalen Kultur in Kontakt und hängten deshalb einfach miteinander ab und schlugen die Zeit mit Kaffee und Geschichten tot.

all inclusive startup trips

Doch heute war Steffs empfundener Glückstag. In der Ecke des Kaffees lauerte Chris, der Innovation-Touristen-Fänger. Chris wusste genau, was die europäischen Pilgerer gemäss ihrer Bucket List erleben wollten und hatte sich auf «all inclusive startup trips» spezialisiert. Zum Spezialpreis durfte man auch mit den Startups reden. Sie vielleicht sogar streicheln, wie es bei den thailändischen Tigern der Fall war. «Hey, what’s up? Looking for some disruptive innovation and crazy startups?» Steff fiel ein Stern vom Herz. «Yes, that would be awesome. You know, we in Switzerland are very interested in what will disrupt our markets», antwortete sie mit ihrem charmanten, helvetischen Akzent. «Great, let’s check out some startups» und die Tour mit Chris konnte beginnen.

Stopp Nummer eins war in einer kleinen Garage. Dort sass ein langhaariger Nerd hinter zwei Screens und, so wie es aussah, einer Spielkonsole. Der Schuppen miefte nach abgestandener Pizza. «That’s Axel. He’s on some very hot shit, AI and stuff. Say Hi Axel.» Der Typ hob kurz die Hand, ohne sie nur eines Blickes zu würdigen. Ein Trommelwirbel erklang und eine Computerstimme verkündete: «You have reached level five.» Chris hatte es plötzlich eilig zu gehen. Als sie die Garage verliessen, ertönt es aus dem oberen Stock: «Axel, food’s ready!». «Coming mom», antwortete der Langhaarige. «Mhm, dieses Startup befand sich wohl noch in der Frühphase», vermutete Steff.

Der zweite Stopp war «the big surprise», wie Chris es ankündigte. Eine spezielle Einladung bei Twitta, dem global agierenden Unternehmen für Langnachrichten, das vom Startup zum Multimilliarden-Konzern gewachsen war. Der Herr am Empfang fragte Chris, ob sie eine spezielle Einladung hätten oder einfach normale Besucher seien. Natürlich hätten sie eine Einladung von oberster Stelle, wobei Chris aus unerfindlichen Gründen trotzdem das Visitor-Formular ausfüllte. Nach dem Empfang ging’s durch fünf Sicherheitsschleusen. «Genau wie bei uns, bei Swisscoin», dachte Steff. Sie wandelten durch grosse Hallen und lange Gänge, die allesamt beeindruckend, aber steril waren, bis sie die Betriebskantine, offenbar das Ziel ihres Besuchs, erreichten. Mit grossen Gesten posaunte Chris: «That’s where great ideas get fed, if you know what I mean.»

Aber alles in allem taten sie das, was Menschen überall tun: Sie arbeiteten.

Der dritte und letzte Stopp war ein sogenanntes «Coworking for Entrepreneurs». Sowas wollte ihr Head of Innovation Vorgänger Nummer sieben bei Swisscoin anpacken, wobei er damit kläglich scheiterte. Man dürfe den Mitarbeitenden doch nicht ihren sicheren Hafen, ihr Einzelbüro wegnehmen, war die Argumentation. Drinnen angekommen, schaute sich Steff um und erblickte… Menschen bei der Arbeit. Klar, einige tranken auch Kaffee, unterhielten sich angeregt, machten Video-Calls oder hielten gerade ein Meeting ab; aber alles in allem taten sie das, was Menschen überall tun: Sie arbeiteten. «Hi, can I help you?», fragte der charmante Typ, der plötzlich neben ihr stand. Etwas verwirrt fragte Steff: «Are these startups?» «Who? Ah, yes, some of them. Others are freelancers or they work for a company. But in sum, people like you and me.» Mit einem «thanks» stahl sich Steff davon. Nochmals einen Stopp mit Chris wäre ihr zu viel des Guten.

Steff trat auf die Strasse und wurde beinahe von ihrem Kollegen Ross the Boss umgerannt. «Hey Steff, was läuft? Voll geile Ecke das Silicon Valley, Palo Alto. Da geht voll was, super Partys. Und weisst du, wer das Ganze finanziert? Die Investoren der Startups und die Konzerne bei uns zuhause! Crazy, wie blind muss man sein! Die kommen sogar selbst an die Partys und checken es immer noch nicht, was da abläuft. Was soll’s, mir kann’s ja egal sein. By the way, kommst du heute Abend an die Swiss Quality Party? Die Schweizer Konzerne haben hier alle einen Aussenposten; die heissen 'Outpost'. Die meinen echt, sie seien den Trends etwas näher, wenn sie hier ihre Zelte aufschlagen. Es ist wie ein Festival: Alle warten auf den grossen Gig. Ha, meine Grossmutter weiss mehr von Trends und sie liest nur die Glückspost und die Bunte. Auf jeden Fall geile Party, teure Drinks, alles gratis.» «Warum nicht, absurder kann es kaum noch werden», dachte Steff etwas durcheinander.

Sie sind nun damit beschäftigt, wie sie die Ernüchterung verarbeiten und zuhause ihren Job retten können.

«Flat White oder Cappuccino?», fragte das sympathische Girl, das sich am nächsten Morgen im selben Starbucks zu ihr an den Tisch setzte. «Am liebsten eine Flasche Whisky, um gar nicht erst aufzuwachen», antwortete Steff. «Ich bin die Noe, grüss dich. Du gehörst wohl auch zur gestrandeten Innovationsmanager-Truppe. Mach dir keinen Kopf, du bist hier in bester Gesellschaft.» Noe zeigte hinter sich in den Raum. «Die sind alle von deiner Zunft, kamen mit denselben Illusionen her und sind nun damit beschäftigt, wie sie die Ernüchterung verarbeiten und zuhause ihren Job retten können. Wie heisst du eigentlich?» «Steff. Wie meinst denn das genau?», hakte Steff nach. «Willst du’s wirklich wissen? Magst nicht noch ein, zwei Wochen die Inno-Startup-Hysterie geniessen, bevor dich die Bedeutungslosigkeit des ganzen Zirkus heimsucht?» Steff schüttelte den Kopf: «Ne, lass gut sein. Ich mag Abkürzungen.»

«Also gut, Steff. Erzähl mal, was du über das Getue hier und zuhause schon gelernt hast. Ich mag nicht besserwisserisch tun und dich mit Dingen zutexten, die du schon begriffen hast.»

Steffs Blick schweifte durch den Raum, sie betrachtete ihre Berufskollegen, den fancy Starbucks und setzte an: «Schon als Kind liebte ich den Zirkus. Das tue ich heute noch. Die Löwen, die Seiltänzer, die Clowns; eine gigantische Show, die mich verzauberte. Ich fühlte mich in einer anderen Welt. Was sich hinter dem Vorhang abspielte, darüber habe ich mir nie den Kopf zerbrochen. Dass der Alltag für die Artisten und deren Manager ein hartes Business ist, war mir nie bewusst: Tägliches Training, ständiges Scheitern, wieder probieren. Und immer wieder die eigene Nummer überarbeiten und neu erfinden, denn jedes Jahr musste ein noch krasseres Programm her, um die Zirkusbesucher bei Stange zu halten. Ich sah immer nur die kurze Show und die Party danach, bei der ich coole Leute traf, nicht die Arbeit und die Entwicklung dahinter. Da wollte ich unbedingt dabei sein.» Noe nickte anerkennend. «Etwa so scheint der ganze Startup- und Innovation-Zirkus zu funktionieren. Im Kern, egal, ob bei den Startups oder den normalen Firmen, ist es einfach harte Arbeit, ein Ringen um stetigen Fortschritt, damit du auch nächstes Jahr auf dem Programm stehst und dir kein anderer die Show klaut. Vielleicht ist der einzige Unterschied zu früher, dass alles schneller geht. Das Programm wechselt nicht nur einmal, sondern unterdessen drei Mal pro Jahr und von Zeit zu Zeit kommt eine Artistin mit einer Nummer daher, die man so noch nie gesehen hatte. Ob sie sich lange hält oder ein kurz gefeierter Shooting-Star sein wird, das weiss man zum Zeitpunkt der Erscheinung nur selten.»

Noe klatschte in die Hände: «Alte, du hast es wirklich begriffen!» Steff fixierte den sich auflösenden Schaum ihres Kaffees. «Ich bin als Head of Innovation wahrscheinlich ein Mix aus dem Typ, der den Fussgängern auf der Strasse das Zirkusprogramm in die Hände drückt, in der Hoffnung, dass einige zur Show vorbeikommen werden; und dem Clown, der die Nummern in blumigen Worten ansagt und für die gute Stimmung sorgt.»

Noe begann zu lachen: «Ich würde sagen, du hast dir einen geilen Job geschnappt! Hättest du je gedacht, dass du mit einem Wirtschaftsstudium in der Tasche als Zirkus-Clown enden würdest?»

«Und dazu ein überzahlter Clown, der sich auf Geschäftskosten in Übersee in den wildesten Partys verlieren darf.»

«Und jetzt, was wirst du tun? Du weisst genau, dass deine Chefs und Kollegen eine tolle Story von dir erwarten und auf gar keinen Fall die nüchterne Realität vor Augen geführt haben wollen.»

«So ist es. Vielleicht sind sich meine Chefs dessen sogar bewusst, aber es ist ihnen egal. Es ist wie bei unseren exotischen Restaurants, dem Thai, dem Mexikaner. Alle wissen, dass deren Food überhaupt nichts mit der richtigen thailändischen oder mexikanischen Küche am Hut hat. Aber solange die Deko und der Groove Authentizität vorgaukeln, ist es allen egal. Hauptsache anders als der Kartoffelstock mit Erbsen, den man täglich aufgesetzt bekommt.» Steff dachte nach. «Falls ich wirklich etwas verändern und der nüchternen Innovationsarbeit eine reale Chance geben will, dann muss ich meinen Konzern wohl einige Jahre mit dem Zirkus unterhalten und hoffen, dass die Innovation irgendwann erwachsen werden darf und dass die Kleine bis dahin das eine oder andere gelernt hat, um nicht mit leeren Händen dazustehen, wenn der Schein endgültig fällt und die nüchterne Arbeit beginnt.»

Let the show begin...

Eine Woche später zurück bei Swisscoin, zurück in der Geschäftsleitung. Steff hatte ihr 25-minütiges Traktandum detailliert vorbereitet. Let the show begin: Als Auftakt einige markante Slides mit Hochglanz-Bildern von Startups und Zitaten wie «innovate or die», «the future doesn’t wait for us»; gefolgt von Zahlen und Statistiken, die niemand verstand aber gigantisches Potenzial vorgaukelten. Die Gesichter der Männer zeigten Verzauberung, der Start schien gelungen; imaginärer Trommelwirbel für Steff. Eine Publikumsinteraktion mittels kurzen Fragen und Antworten zum Erhalt der Spannung mit nahtlosem Übergang zum heutigen Highlight, dem Star der Show: Das kreative Brainstorming. Feuerwerk wäre ihr lieber gewesen, doch als Ersatz taten es auch die bunten Post-it. Die GL durfte Ideen für einen internen «Innovation Event» entwickeln. Ein Format, das nicht viel bringt, aber viel Staub aufwirbelt. Die C-Level Crew war, ausser dem Hürlimann, der die Sache schon längst durchschaut hatte, elektrisiert. Die Herren kamen richtig in Fahrt. Sie lockerten ihre Krawatten und krempelten die Hemden hoch. Richtige Chefs, die noch wussten, wie man anpacken sollte. Steff beobachtete amüsiert das Grande Finale, der Pitch der besten Ideen. «Lächeln, anerkennend nicken, Begeisterung vortäuschen», rezitierte Steff innerlich. Doch spätestens bei der mit Stolz vorgetragenen Idee «die Apéro Häppchen sollen wie Einhörner und Raketen aussehen» wusste Steff, dass es bis ans Ende der Innovations-Party noch ein langer Weg sein würde.

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Kommentare

8 Kommentare
Noe

Hi Steff
Schulreisli in den kalifornischen Traum überlebt? Wie gehts den Fingernägeln nach dem ein wenig an der Oberfläche kratzen»? Nun, du hast offensichtlich den ganzen Zauber durchschaut. Mach in deiner Bude kompromissloses Storytelling. Grabt tiefer! Um den Kontext, in dem ihr tätig seid, und die damit verbundenen Aufgaben vollständig verstehen zu können, müsst ihr eurer Sache auf den Grund gehen. Knochenarbeit. Was wollen Menschen wirklich? Menschen wollen keinen Bohrer, sondern Löcher in der Wand! Das ist, was auch Marketing-Gurus verkünden, eine Weisheit, dass die KundInnen ihre Bedürfnisse erfüllt haben wollen. Warum in die Ferne schweifen; sieh das Gute liegt so nah. Nur weil sich die Welt wieder mal transformiert? Transformation ist immer! Gestern. Jetzt. Und gleich wieder. Neue Chancen und Herausforderungen sind zeitlos. Möglichkeiten zur Partizipation und Gestaltung sind ständig da. Im Tal der kühnen Fabelwesen danach suchen? Silicon Valley, der feuchte Traum unbeschwerter Möglichkeiten ist Schnee von gestern. Die einst öde Brache war mal Sinnbild für die schöne, neue, digitale Welt. Heute ist der Glanz verblasst. Tausende von Entzauberten und Obdachlosen sind geblieben. Big Techies bestimmen den Takt, regulieren und entlassen. Rutsche, Fitnessstudio und jede Menge Brimborium kann heute fast jeder. Warum einen blenderischen Hype kopieren, wenn ihr neue Talente und Ideen gewinnen möchtet? Macht, was ihr selbst gut könnt: Storytelling im eigenen Hühnerstall. Warum jeden Mini-Zirkus mit dem Cirque du Soleil vergleichen? Grandios und aussergewöhnlich wird er vielleicht auch mal. Jeder Clown, der etwas auf sich hält, kennt das Geheimnis: Es sind die Geschichten der Mitarbeitenden und ihrer KundInnen. Es ist das, was das Unternehmen ausmacht, wo es sich von der Konkurrenz unterscheidet und das ist ausserordentlich anstrengend. Und cool. Und geil. Make It Happen» auf die schöne, harte Tour. Du kannst das!
Deine Noe, Starbucks SV

Evelyne

Wir lieben die Show! Vor allem im "modernen Business" scheint dies besonders wichtig zu sein. Reicht es nicht, einfach zu arbeiten? Nein, wo kämen wir dahin. Ich will schliesslich etwas besonders sein. Ganz besonders ist man natürlich als Startup, Transformation-Typ usw. Ay, man feiert sich gerne selbst... wie ich dies ehrlich gesagt vor Kurzem am SEF erlebt habe. Weiter so liebe Autorinnen - ich finde es wunderbar, auf welch - fast schon liebevolle Art - ihr den Zirkus beschreibt.

Andrea

Auch diese Story lässt mich herzlich schmunzeln. Keiner stellt sich freiwillig vor den Spiegel im Neonlicht. Wir dimmen das Licht und geben uns der bewussten Illusion hin, wohl wissend, dass wir Zirkus spielen. Solange wir über uns selbst lachen können und die Realität nicht ganz aus den Augen verlieren, ist das ok. Eure in Satire verpackten Geschichten wecken die Lust nach mehr!

Jess

Sehr coole Geschichte. Gratulation. Einziges Detail: der Abschnitt, wo Steff zu ihren Erkenntnissen gelangt, ist nach meinem Gusto minimal zu langatmig. Ich bin mehr für "Action"

Aley

:-) :-) Shit - wie oft fühle ich mich als "Hürlimann" (in meinem Fall in der GL). Alles tönt super geil, doch ist eigentlich Schwachsinn. Hauptsache es ist fancy, niemand fragt danach, ob es Sinn macht. Danke für den Alter Ego Hürlimann :-)

Sven

I like: Der ganze Dramaturgiebogen der Geschichte, die Darstellung der (hysterischen) Geschäftsleitung, die Schaumschlägerei wannebe Zirkus im Silicon Tal und das Finale - eigentlich sehr geil, wenn ich das alles schreibe
I wish: Ross hat Potenzial. Irgendwie scheint er auch das ganze Theater von Anfang an gecheckt zu haben und verabschiedet sich sogleich. Ich würde gerne mehr über seine Abenteuer erfahren

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