Kapitel 3

Fränzis Ideen-Kindergarten aka «kreative Beschäftigungstherapie»

Einhorn Fraenzi

Fränzi bleibt entspannt. Luca und Eli prügeln sich, Jessica verspeist ihr zweites Playmobil, Alexandra bemalt mit den Filzern anstatt das Papier ihr eigenes Gesicht und Sven hat sich soeben in die Hosen gemacht. Und Fränzi, die Kleinkindererzieherin, mittendrin, verzieht keine Miene. «Das hier ist gar nichts», denkt sie und verliert sich für einen Moment in einem Flashback in Erinnerung an ihre kreative Beschäftigungstherapie damals bei der Firma Credibility Switch.

Nach zwanzig Jahren Kindergarten wollte Fränzi etwas Neues.

Nach zwanzig Jahren Kindergarten wollte Fränzi etwas Neues. Angenehmerweise fiel dieser Wunsch genau in die Zeit, in der Innovation und Digitalisierung in aller Munde war und die Grossunternehmen händeringend Innovationsmanagerinnen und -manager suchten und jeden mit offenen Armen empfingen, dessen Kreativität es mit einer Gurke aufnehmen konnte. «Wenn es mit Kindern klappt, dann auch mit Bankern», und Fränzi bekam eine Stelle bei der Credibility Switch.

Im Bewerbungsgespräch wurde sie ehrlicherweise darauf hingewiesen, dass man während der internen Kultur-Transformation für mehr Kreativität und Eigenverantwortung mit Widerstand und Scheitern rechnen musste. Doch davon liess sie sich nicht einschüchtern, denn in Anbetracht dessen, dass dies die Essenz von Kindererziehung war, fühlte sich Fränzi für den Job gerüstet. So startete sie wenige Wochen später in der Funktion als «Lead Unleash Creativity», deren Auftrag es war, mittels Ideen-Workshops die Mitarbeitenden zu kreativem Denken anzuregen.

Fränzis’ Highlight in ihrer Zeit bei der Bank war die Aufhebung des Dresscodes für ihren Workshop. Zwar musste es von der Geschäftsleitung höchst persönlich genehmigt werden, dass man auch ohne Krawatte und Jackett erscheinen dürfe, doch Fränzi war eine Realistin: Erfolg kommt mit kleinen Schritten. Die jüngeren Teilnehmenden nahmen die Befreiung etwas gar seriös und erschienen in Flip-Flops und Badehosen. Die älteren Herren fühlten sich in ihrer Anzügen am ehesten zuhause und schwitzten lieber einen Workshop lang ihre Hemden durch, als auf ihre Uniformen zu verzichten. Fränzi nahm es gelassen und kategorisierte für sich das Thema als «Diversity» ein.

Genau wie mit den Kleinkindern, totale Komfortzone.

Auch geriet sie bei ihrem ersten Workshop nicht sonderlich aus dem Konzept, als ihr bei der Einleitung niemand zuhörte, sondern sich lieber alle mit kleinen Ablenkungen beschäftigen. Das kannte sie bestens aus dem Kindergarten, sie nahm es nicht persönlich: Suter kritzelte mit dem Filzer auf dem dünnen Papier, bis er merkte, dass er damit den antiken Nussbaumtisch vollgesudelt hatte. Spitzer schnappte sich das Post-it Akkordeon und spielte damit hingebungsvoll Jojo. Anderegg knuddelte das Einhorn-Plüschtier, das sie als Ideen-Maskottchen dabei hatte und entdeckte die Legosteine… «Bitte, bitte friss die Dinger nicht», dachte Fränzi. Kaser sass mit verschränkten Armen zurückgelehnt im Stuhl, um allen zu zeigen, dass er den Workshop für Schwachsinn hielt und das Duo Meister-Aldici tuschelten in der hinteren Ecke über ihren Handys. «Genau wie mit den Kleinkindern, totale Komfortzone», versicherte sich Fränzi innerlich.

Doch dann kam das Warmup.

Doch dann kam das Warmup. Die Aufwärmübungen und Eisbrecher hatte sie in einem Innovation-Crashkurs gelernt. Für Fränzi war es nichts Neues und im Grunde dieselben Spielchen, die sie auch im Kindergarten anwendete. Kreativität entsteht durch Vertrauen. Dieses wollte sie mit drei Übungen herstellen. In der ersten Runde bildeten die Teilnehmenden Zweiergruppen, die jeweils hintereinander standen, wobei sich die vordere Person in die Arme der hinteren fallen lassen sollte. Anderegg und Suter donnerten synchron zu Boden. Ihre Partner, Spitzer und Kaser, weigerten sich, sie aufzufangen. Spitzer empfand das Auffangen als sexuellen Übergriff und Kaser hielt es für kindischen Schwachsinn. Meister und Alici filmten das Ganze mit ihrem Handy. Ein gelungener Start.

Fränzi hätte mehr an ein Geheimnis wie «ich mag Glitzersocken» gedacht.

Auch der zweite Eisbrecher, genannt «wie geht es mir heute», war nicht massgebend erfolgreicher. Kaum hatte Fränzi die Übung erklärt, brach Anderegg in Tränen aus und gestand, dass seine Ex-Frau gestern Nacktfotos von ihm ins Internet gestellt habe. Mit grossen Augen horchten Meister und Aldici auf, worauf sie gleich noch inniger auf ihren Handys tippten. Nun gut. Dann wollen wir mal zur nächsten vertrauensbildenden Massnahme, «teile ein Geheimnis», übergehen. Suter setzte gleich an: «Ich habe mit Andereggs Frau geschlafen.» Fränzi hätte mehr an ein Geheimnis wie «ich mag Glitzersocken» gedacht, doch weshalb nicht gleich zur Sache kommen. Man sah es Anderegg an, dass er Suter an die Gurgel wollte, doch da Suter sein Chef war und der Arbeitsmarkt für Banker aktuell nicht rosig aussah, liess es Anderegg auf sich beruhen.

Es schien Fränzi, dass bereits genug Eis geschmolzen und gebrochen sei, weshalb sie zur Visualisierungsübung übergehen wollte. «Nehmt Stift und Post-it und zeichnet eure Lieblings-Devise, zum Beispiel Euro oder Dollar, als Tiercharakter.» Doch aufgrund Kasers Zwischenruf: «Wir sind doch hier nicht im Kindergarten, da mache ich nicht mit», kam es nie dazu. «Natürlich nicht, wie kommst du auf diese Idee», entgegnete Fränzi. «Ich kann mich nicht daran erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben», antwortete Kaser harsch. Uh, genau. Die Du-Regel hatte Fränzi im Dresscode-GL-Antrag vergessen. Tja.

Die Ideenentwicklung konnte nur noch besser werden. Da meldet sich tatsächlich Alici zu Wort: «Frau Fränzi. Es ist 9 Uhr 30. Wir müssen in die Pause. Wir dürfen laut Credibility Switch Regeln nur zwischen 9 und 10 Uhr Pause machen und es sei auch besser für das Teambuilding, wenn alle gleichzeitig in der Cafeteria sind.» Nun denn.

So blieben Anderegg und Kaser, das Opfer und der Verweigerer.

Um 10 Uhr erschien nur noch ein Drittel der Teilnehmenden. Spitzer musste dringend einen spontanen Kundentermin wahrnehmen; Suter wurde mit Andereggs Ex-Frau auf dem Weg Richtung Tiefgarage gesehen; und das Duo Meister-Alici suchte immer noch Andereggs Nacktfotos im Internet. So blieben Anderegg und Kaser, das Opfer und der Verweigerer. Ein Dreamteam und eine fantastische Ausgangslage, um das kreative Mindset der Firma zum Fliegen zu bringen.

Anmerkung der Autor*innen: Dass es mit dem creative mindset und der Unternehmenstransformation nicht geklappt hat, ist unterdessen allseits bekannt. Doch dass durch Fränzi gleich die ganze Bude ins Schleudern geraten würde, das hätten wir Anfang 2023, als die Geschichte entstand, nun doch nicht für möglich gehalten.

190 Reaktionen

Kommentare

6 Kommentare
Harlekin

Liebe Zirkus-Community. Ich habe viele Fragen.
Die Innovations-ArtistInnen sagen bei jeder Gelegenheit: fail fast, learn fast. Steht zu eigenen Fehlern». In einem geilen Buch lese ich unter Shit happens», dass du dich nicht unbewusst in die immer gleiche Sackgasse» verrennen sollst. Selbstregulation erinnere daran, wie auf den Shit zu reagieren sei.
Fränzis Workshop: Was sind die Erkenntnisse oder Einsichten? Wie ist eure Haltung nach so einem Erlebnis? Liegt der Shit beim Verhalten der Workshop-Teilnehmenden? Hat Fränzi die Unternehmens-Kultur und -Strategie falsch oder gar nicht berücksichtigt? Nimmt sie nun an, dass die erfolgreichen Clowns im Inno-Zirkus nebst Beschäftigungstricks noch mehr mitbringen müssen? Was?
Der Innovations-Zirkus schafft Bewusstsein. Machen das die Inno-Zirkusleute selber auch? Wie oft denken sie laut über tiefere Bedeutungen des Tuns und Erlebens nach? Eine Gelegenheit wäre jetzt.

Chris

Vor allem der Schluss / Anmerkung hat mich zum Schmunzeln gebracht. Daraus liesse sich etwas machen ;-)

Liv

Sehr schön. Beim Schluss hätte ich mir noch etwas mehr Feuerwerk gewünscht. Entweder fliegt der Fränzi alles m die Ohren oder sie mobilisiert ihre ganze Kinderkarten-Power.

Jess

:-) In etwa alle Figuren vom Kaser bis zum Spitzer habe ich auch schon erlebt. Sehr treffend. Die Figur "über alle Massen motiviert und fast schon nervig" würde noch passen.

Miriam (Autorin)Jess

Die Hypermotivierten :) Mal schauen, ob wir die noch einbauen können. Die hypermotivierte GL kommt auf jeden Fall noch in einigen anderen Stories vor...

Wir verwenden Cookies, machen aber nichts damit.
Mehr Informationen finden Sie hier.