Kapitel 6

Bastian, der Bestsellerautor

Einhorn Bastian 2

Bastian schreibt Bücher. Um genau zu sein, lässt er seine Bücher durch andere schreiben, denn er muss sich aufs Lorbeeren ernten konzentrieren. Aber von vorne, wie alles begann.

Ruhm und Ehre erntet, wer gescheit darüber redet oder schreibt.

Bastian ist ein schlauer Fuchs. Er wusste schon immer: Wer in der Grube buddelt und rackert, der macht sich nur die Hände schmutzig. Ruhm und Ehre erntet, wer gescheit darüber redet oder schreibt. Dann erreicht man mehr Menschen, was der eigenen Bekanntheit zuträglich ist. Und man stelle sich vor: «Bastian, der Autor und Innovationsexperte», das tönt doch cool. Oder noch besser: «Bestsellerautor». Bastians Augen glänzen.

Dann mal los. Bastian schnappt sich seine Kaffeetasse und macht es sich mit seinem Laptop auf seiner Sonnenterrasse mit Blick über die Stadt gemütlich. «Yeah, so sieht das Leben eines richtigen Autors aus. Das Ganze buche ich auf Arbeitszeit, es muss ja niemand wissen, was ich im Homeoffice treibe. Muss nur schnell ‘Focus Work' im Kalender eintragen.»

Also dann mal wirklich los. Bastian tippt: «Bei der Innovation ist es ganz wichtig…», «scheiss Einleitung», gesteht er sich ein und setzt erneut an: «Wer heute nicht innovativ ist, den wird es morgen nicht mehr geben». Keine Chance. «Shit, den hab ich schon zig mal gelesen.» Er startet einen letzten Versuch: «Innovation ist die Fähigkeit in der Vuca-Welt radikal die eigenen Wahrheiten zu hinterfragen und disruptive Geschäftsmodelle…». «Mein Gott, den Satz verstehe ich selbst nicht mal. Gar nicht so easy, Bestsellerautor zu werden, geschweige denn Bücher schreiben, was mich dorthin bringen soll.»

Die Geschichte von Bastians Autoren-Karriere könnte hier enden. Doch ihr kennt Bastian noch nicht. Der ist ein richtig schlauer Fuchs, weshalb…

«Heureka! Ich lass die anderen mein Inno-Buch schreiben! Da draussen laufen doch zig Möchtegern-Inno-Experten herum, die nur darauf warten, endlich viel Aufmerksamkeit zu ergattern.» Also dann mal los los los! Buchskript zu, WhatsApp auf. Alle nahen und fernen Inno-Freunde und Consultants kriegen von Bastian eine charmante Message. Zum Beispiel Susanne:

«Hallo Susanne. Alles klar? Hör mal, ich bin da an einer heissen Sache dran. Ich werde ein Buch über Innovation herausgeben. Sozusagen das Standardwerk der Branche. Da dachte ich, hey, die Susanne ist doch voll die Insiderin und Expertin im Thema. Hättest du Lust ein Kapitel zu schreiben? Ich will, dass nur ausgewählte Trendsetter*innen, wie du eine bist, darin vorkommen.» Die Antwort folgt umgehend: «Hallo Bastian. Wow, cool! High5. Klar, das mache ich gerne. Zu welchem Thema genau?»

Scheisse, worüber genau soll sie schreiben?

Bastian zieht ein langes Gesicht. «Scheisse, worüber genau soll sie schreiben? Über die Buchstruktur habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Whatever, die soll einfach etwas schreiben, was fancy tönt.»

Er textet: «Hey Susanne. Awesome! Zum Thema will ich dir gar keine Vorgaben machen. Das schränkt dich nur in deiner Creativity ein. Du weisst dank deiner Erfahrung, was wichtig und trendy ist. Vielleicht irgendwas mit disruptiv, skalieren und so. Aber voll dein Ding, easy.»

«Allright. Du hörst, äh, liest von mir. Lol.»

«Das ging doch ganz glatt», denkt sich Bastian. Nach einer Runde mit allen anderen «mein famous moment kommt schon noch»-Anwärterinnen und Anwärtern scheint die Sache geritzt. Nur der Heinz fragt, wie es mit der Teilhabe am Erfolg aussehe. Mit einem Versprechen auf grosse Sichtbarkeit, eine Erwähnung in der Einleitung und es sei für die Community und die gute Sache, ist der Heinz erstmal ruhig gestellt.

Gleich charmant und schlau geht Bastian auch mit dem Thema Illustrationen und Verlag vor. Mit einem smarten Move gewinnt er die Stanford University für sich, indem er die Design Studenten die Illustrationen als ihre Masterarbeit produzieren lässt. Selbstverständlich gratis.

DIE Inno-Bibel

Wenige Monate später erscheint Bastians erstes Innovation-Buch mit dem bescheidenen Titel «DIE Inno-Bibel». Den Inhalt versteht die Leserschaft, geschweige denn Bastian, nicht wirklich. Aber das Zeugs tönt dermassen sexy, dass Bastians Debüt zum internationalen Bestseller und in 50 Sprachen übersetzt wird, sogar auf Nordkoreanisch. Zudem wird der dicke Schinken in der Inno-Szene als Die Gelben Seiten, eine Art Branchenverzeichnis für die Konkurrenzanalyse, genutzt. Schliesslich haben alle, die sich Innovatoren nennen, zum Werk beigetragen.

Bastian sitzt auf seiner Sonnenterrasse, Kaffee in der Hand, der Kalender ist wieder auf «Focus Work» gestellt. Er geniesst die Aussicht und den verdienten Erfolg. Das gibt ein richtig wohliges Gefühl in der Brust. Das einzige Hintersinnen, das kurz in seinem Kopf auftaucht: «Was wohl passiert, falls die Leserschaft meinen Inno-Schrott tatsächlich umsetzt? Was die in Nordkorea wohl damit anstellen? Machen die ihre Parteitage nun mit Post-it und Ideation? Haha.» Doch da taucht schon ein neuer Gedanke auf, denn Bastian wäre nicht Bastian, wenn er sich mit nur einem Erfolg zufrieden geben würde. Er will mehr. Was einmal geklappt hat, wird doch wohl ein weiteres Mal hinhauen.

Er will den ganz grossen Wurf! Ein weltumspannendes Netz an Bastian-Büchern.

Und tatsächlich. Nicht nur einmal, sondern gleich fünf Mal. Ab sofort schreibt er jährlich ein neues Buch, respektiv lässt sie schreiben, je nachdem wie man es sehen will. Bastian ist sozusagen ein zwanghafter Wiederholungstäter, ein serial author. Mit jedem Buch wächst Bastians Fangemeinde und damit die potenziellen Anwärterinnen und Anwärter, die noch so gerne gratis und ohne Fragen weitere Kapitel für seine Bücher verfassen. Denn wer möchte sich nicht in der Entourage des grossen Bestsellerautors wähnen? Dem Versprechen, seine Schreiberlinge zu promoten, kann Bastian nicht nachkommen. Er würde ja gerne, doch es fehlt ihm die Zeit dafür, denn er will noch viel mehr. Er will den ganz grossen Wurf! Ein weltumspannendes Netz an Bastian-Büchern. Tausende davon und zu jedem Thema! «Let’s disrupt the book market! Wie damals Amazon.» Also auf zum frohen Disruptieren!

Die neuen Märkte mussten natürlich reif sein für Bastians Disruptions-Ambitionen. Das heisst, er brauchte genügend gutgläubige Schreiberlinge, die noch so gerne Kapitel für ihn verfassten, nur um sich an seiner Aura laben zu dürfen. In den Märkten Esoterik, Lebensberatung und alternative Tierheilkunde war die Umsetzung ein Leichtes. Jedes Mal brachte es Bastian auf mindestens zwanzig neue Bücher. Ins Stocken geriet sein Erfolg erst beim Versuch, sich den Markt des Investment-Bankings und der kreativen Buchhaltung anzueignen. Einige Grossbanken hatten sein haltlosen Tipps etwas gar wörtlich genommen. Doch der grosse Fall nach der Hybris erreichte ihn, als er es mit der Landwirtschaft versuchte und dabei dem Schweizer Bauernverband auf die Füsse trat, als er dessen Community als Autoren über sämtliche Formen der Nutztierhaltung und Subventionsergatterung gewinnen wollte. Davon in Kürze.

Scheiss europäische Gewerkschaftskultur.

Zudem bahnte sich ein unheilbringendes Gewitter an. Bastians enttäuschte Schreiberlinge fanden sich in Selbsthilfegruppen der toten Autoren zusammen und kurz darauf bildeten sie die Gewerkschaft mit der grössten Mitgliederzahl in Europa. Sie lancierten eine Sammelklage auf Entschädigung im Umfang von 250 Millionen, gegen die Bastian auch mit den besten Juristen kaum eine Chance haben würde. «Scheiss europäische Gewerkschaftskultur», dachte er. «In den USA werden die zum Glück noch unterbunden oder die grossen Tech-Firmen verbieten ihren Mitarbeitenden die Mitgliedschaft.»

Gleich zwei Probleme: Gewerkschaft und Bauernverband. Sie müssen verstehen, dass dieser Verbund wettergegerbter und schicksalsergebener Männer und Frauen jede neapolitanische Mafia und jedes mexikanische Kartell in den Schatten stellt. Die haben seit Jahrhunderten Erfahrungen, wie man mit fremden Fötzel umgeht. Die Androhungen begannen subtil: Aufgestellte Vogelscheuchen in Bastians Garten, sein Auto ertränkt in Kuhmist und brennende Bücher vor seiner Einfahrt. Doch Bastian liess sich nicht einschüchtern, bis die Botschaft klipp und klar vom Gesandten Hiob himself kam.

Der Typ kannte kein Pardon.

Es war ein frostiger Novemberabend. Die Krähen krächzen in den Bäumen, die streunenden Katzen verzogen sich in ihre Löcher oder suchten das Weite. Es klopfte an seiner Tür. Bastian öffnete sie, ein kalter Windstoss zog ins Haus. Vor ihm stand ein altes Bäuerchen mit Pfeife im Mundwinkel, der Bastian knapp bis zur Brust reichte. Die Kreatur kniff die Augen zusammen und raunte in unverkennbaren Adelbodnerisch: «Ier hiit ii Tag Zyt, zum über aller Bärge zverschwinde. Schüsch ziige n ig öch, wisech ä Mischtgablä vo hinder u ä Traktor vo obne afüehlt.» Bastian sah den Killerinstinkt in den Augen der urchigen Einsfünzig-Erscheinung. Der Typ kannte kein Pardon. Er wusste, seine Zeit hier war abgelaufen. Da gab es nur eins: «Auf ins Land der begrenzten Unmöglichkeiten und der verbotenen Gewerkschaften! Silicon Valley, ich komme!»

204 Reaktionen

Kommentare

5 Kommentare
Verena

Ich stehe zwar nicht so auf die absurde Fantasie, aber Bastians Geschichte find ich saugeil

Mat Leonard

Haha, ich hoffe, das nicht (fast) alles wahr ist an der Geschichte. Hab mich sehr amüsiert.

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